Von: Redaktion

Lesedauer: 7 Minuten

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Trockeneis schützt mRNA-Impfstoffe

Bei minus 70 Grad Celsius bleibt der mRNA-Impfstoff gegen Covid-19 über lange Zeit stabil. Diese Temperatur beim Transport des Vakzins zu gewährleisten, ist eine echte Herausforderung. In der Praxis kann man sie am besten mit tiefkalten Gasen bewältigen.

mRNA-Impfstoffe sind zu einer wichtigen Waffe gegen die Corona-Pandemie geworden. Diese völlig neue Art von Vakzinen nutzt Erbinformation der Boten-Ribonukleinsäure (mRNA), um eine spezifische Immunantwort im menschlichen Körper auszulösen. Allerdings sind die Molekülketten der mRNA im Vergleich zu den robusteren konventionellen Impfstoffen ziemlich empfindliche Gebilde. Unter normalen Bedingungen zerfallen sie sehr schnell. Um sie dauerhaft stabil zu erhalten, wird eine Temperatur von minus 70 Grad Celsius benötigt.

Routine bei Ultratiefkühlung

Eine solche Tiefkühlung ist in den Produktionsstätten von Pharma- und Biotechnologieunternehmen kein Problem. Wo sie benötigt wird, ist die erforderliche Infrastruktur längst vorhanden, und man ist es durchaus gewohnt, mit der entsprechenden Technik umzugehen. Es gibt spezielle Ultratiefkühlgeräte, die Tiefsttemperaturen erreichen. Auch der Einsatz von minus 196 Grad kaltem Flüssigstickstoff gehört in einigen Bereichen der Biotechnologie zum Alltag. Gewebeproben, Eizellen oder Embryonen werden in den Kryobanken meist in einem Stickstoffbad aufbewahrt. Flüssiger Stickstoff wird auch eingesetzt, um die mRNA-Impfstoffe vor der Einlagerung oder dem Transport herunterzukühlen. Hier soll es möglichst schnell gehen, damit sich keine größeren Eiskristalle bilden und die molekularen Strukturen beeinträchtigen können. Das tiefkalte Gas beschleunigt den Vorgang und schützt damit das Vakzin.

Die Kühl­logistik hatte im Bereich Pharma und Bio­technologie vor der Pandemie keine große Bedeutung.

Jean-Claude Claeys, Anwendungsexperte bei Messer

Im Transportwesen war eine vergleichbare Routine im Umgang mit extremer Tiefkühlung bis Ende 2020 aber kaum verbreitet. „Konventionelle Kühltransporter mit einem kompressorgetriebenen Kühlaggregat schaffen im besten Fall minus 20 Grad. Tiefere Temperaturen würden einen zu hohen Aufwand an Technik und Energie erfordern“, erklärt Jean-Claude Claeys, Anwendungsexperte bei Messer. „Zudem hatte die Kühllogistik im Bereich Pharma und Biotechnologie vor der Pandemie keine große Bedeutung. Das hat sich nun gründlich geändert.“ Claeys‘ Fachgebiet ist eigentlich die Lebensmittelbranche, inzwischen hat er sich auch intensiv mit der Impfstoffkühlung beschäftigt. Fabian Weber, Marketingmanager bei der Messer-Tochter ASCO Carbon Dioxide bestätigt seine Beobachtung: „Seit der Zulassung der ersten mRNA-Impfstoffe erleben wir eine sprunghaft gestiegene Nachfrage nach Trockeneis und der dazugehörigen Ausrüstung. Viele Logistikunternehmen haben Ende letzten Jahres angefangen, die entsprechende Infrastruktur aufzubauen. Die Kühlkette für den Transport dieser Produkte kann man in der Praxis am effizientesten mit Trockeneis aufrechterhalten.“

Versandbox statt Dieselaggregat

Bei isothermischen Behältern für die Lebensmittellogistik wird das Trockeneis meist nur in den Deckel gefüllt. Aber auch damit lässt sich eine Temperatur von minus 20 Grad bis zu 18 Stunden halten. Nicht alle Impfstoffe benötigen so tiefe Temperaturen, für einige genügt auch die Kälte eines Kühlschranks. Und selbst die mRNA-Vakzine behalten ihre Wirksamkeit bei minus 20 Grad noch über mehrere Tage. Doch selbst wenn minus zwanzig Grad oder sogar normale Kühlschranktemperaturen ausreichen, bietet das Trockeneis beim Transport große Vorteile: Tragbare isothermische Behälter, wie beispielsweise die MINICRYO-Boxen unseres Partners Olivo, sind leicht zu beschaffen, das Kühlmittel Trockeneis steht prinzipiell unbegrenzt zur Verfügung und die Aufrechterhaltung der Kühlkette ist sehr einfach zu gewährleisten. Ist seine Kälteenergie verbraucht, entweicht das Trockeneis als gasförmiges CO₂ rückstandslos in die Atmosphäre (siehe Infobox). Während die herkömmliche Kühlung mit Kompressor-Aggregaten Diesel verbraucht, Stickoxide, flüchtige organische Verbindungen und Feinstaubpartikel freisetzt sowie Lärm erzeugt, sind unsere Lösungen mit Trockeneis nachhaltig, geräuschlos und verbrauchen beim Transport keine zusätzliche Energie.

Entspannung bringt Kälte

Als Trockeneis bezeichnet man den festen Aggregatzustand von Kohlendioxid (CO₂). Es bildet sich, wenn flüssiges CO₂, das unter hohem Druck steht, „entspannt“ wird: Beim Entweichen aus der Druckflasche kühlt das verdichtete Gas schlagartig ab und verwandelt sich in eine schneeartige Masse, die kälter ist als minus 78,5 Grad. Das ist der Sublimationspunkt von CO₂, bei dem das Trockeneis unter Normaldruck aus dem festen direkt in den gasförmigen Zustand übergeht. Der tiefkalte CO₂-Schnee lässt sich zu Pellets oder Platten pressen. In dieser Form bekommt es die Kundschaft von ASCO in isolierten Containern geliefert. Vier bis fünf Tage kann es darin als Trockeneis verbleiben, bevor es sublimiert. Aus den Containern wird es in die isolierten Impfstoff-Versandboxen umgefüllt. Jean-Claude Claeys beschreibt das durchstrukturierte Vorgehen bei einem der großen Hersteller von mRNA-Vakzin: „Eine Versandbox enthält knapp tausend Fläschchen mit dem Impfstoff, die in fünf Lagen gestapelt sind. Je ein Kilogramm Trockeneis wird unten und oben eingefüllt, je 10,5 Kilogramm werden seitlich verteilt. Insgesamt enthält jede Versandbox also 23 Kilogramm Trockeneispellets. Mit dieser Vorkehrung bleibt die Temperatur garantiert unter minus 70 Grad.“ Ein Thermo-Aufzeichnungsgerät (Tracker) in jeder Box überwacht den Temperaturverlauf.

Doppelter Trockeneis-Boom

Corona hat die Verwendung von Trockeneis übrigens schon vor dem Beginn der Impfkampagne beflügelt. In den Lockdown-Zeiten haben Zustelldienste, Onlinehandel und die Direktlieferung von Lebensmitteln an Endverbraucher einen enormen Boom erlebt. Auch für diesen Zweck bietet die Kühlung mit CO₂ viele praktische Lösungen.

„Als dann die Vakzine hinzukamen, mussten wir noch einen Gang zulegen“, erzählt Fabian Weber. „Wir haben an Wochenenden durchgearbeitet, um die Nachfrage zu befriedigen. Einen Engpass gab es dann bei unserer Kundschaft, die das Trockeneis in die kleinen Transportgebinde umfüllen musste. Je größer die Menge, desto schwieriger ist das von Hand zu erledigen.“ ASCO hat deshalb ein automatisches Umfüll- und Dosiersystem für Trockeneispellets entwickelt.

Ein großer Teil der Kundschaft hat sich zudem dafür entschieden, das Trockeneis mit Maschinen von ASCO selbst herzustellen. Diese Maschinen verwandeln CO₂ aus Druckflaschen in das begehrte Kühlmittel, und zwar erst dann, wenn es gebraucht wird. Umso länger behält es seine Kühlwirkung. „Man kann die Maschinen kaufen oder mieten. Unsere iSeries-Pelletizer bieten die Möglichkeit der Fernwartung und -überwachung, bei der wir uns bis zum CO₂-Nachschub um alles kümmern“, erläutert Fabian Weber. „Mit unserem Pay-per-use-Modell hat man den vollen Zugriff auf die Technologie, bezahlt aber nur, was man verbraucht.“

Die CO₂-Bilanz von Trockeneis

Trockeneis ist Kohlendioxid in fester Form. Wenn es sich erwärmt, sublimiert es zur Gasform. Ist seine Kälteenergie verbraucht, entweicht es rückstandlos in die Umgebung. Damit ist aber keine zusätzliche CO₂-Belastung der Atmosphäre verbunden, denn das Gas hat in der Kühlkette nur eine Art Ehrenrunde gedreht. Kohlendioxid wird fast ausnahmslos aus den Abgasen von industriellen Prozessen wie etwa der Düngemittelherstellung gewonnen. Von dort würde es sonst direkt in die Atmosphäre gelangen. So wird es abgezweigt, gereinigt und in Tanks oder Druckbehälter gefüllt. Verarbeitung, Abfüllung und Transport des Gases benötigen einen ähnlichen Energieaufwand wie die entsprechenden Prozesse bei anderen technischen Gasen. Dank der hocheffizienten Kältewirkung des Trockeneises lassen sich an anderer Stelle ökologisch relevante Einsparungen verwirklichen. Dieselverbrauch, Abgase und Lärmemissionen werden vermieden. Mit Trockeneis zu kühlende Boxen sind technisch weniger aufwendig als die komplexen Kühlaggregate, die sie überflüssig machen. Naturgemäß kommen sie ohne die oft heiklen Kältemittel aus, die für aktive Kühlgeräte benötigt werden. Damit ist Trockeneis in der Kühllogistik in den meisten Fällen eine Lösung mit vergleichsweise kleinem CO₂-Fußabdruck und überlegener Ökobilanz.


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